Braunschweig. Die Gewerkschaft entwirft eine „Handlungshilfe“ im Umgang mit Rechtspopulisten. Das sorgt für Ärger – und das Projekt wird sofort beerdigt.

Unsere Leserin Karola Hachmann aus Braunschweig fragt:

Wie kann es sein, dass Verdi eine Anweisung zum Umgang mit Rechtspopulisten in Betrieb und Verwaltung herausgibt? Letztlich will man dadurch doch nur erreichen, dass niemand mit einer eher konservativen Gesinnung sich traut, seine Meinung kundzutun.

Die Antwort recherchierte Dirk Breyvogel

Nur wenige Stunden war die vom Verdi-Bezirk Weser-Ems und von der Leserin erwähnte „Handlungshilfe für den Umgang mit Rechtspopulisten in Betrieb und Verwaltung“ im Internet abrufbar – doch das reichte aus, um einen Sturm der Entrüstung in sozialen Netzwerken und gewissen politischen Kreisen auszulösen.

„Mitglieder wegen ihrer politischen Haltung auszuschnüffeln, entspricht nicht unserem Selbstverständnis.“
„Mitglieder wegen ihrer politischen Haltung auszuschnüffeln, entspricht nicht unserem Selbstverständnis.“ © Frank Bsirske, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi

Vera Lengsfeld beispielsweise hat sich kurz danach zu Wort gemeldet. Früher Ikone der DDR-Bürgerrechtsbewegung, CDU-Mitglied und 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt, konzentriert sie sich heute auf ihre publizistischen Tätigkeiten und gibt ihre Meinung in AfD-nahen Blogs wie „Freie Welt“ zum Besten.

Unter dem Titel „Stasi heißt jetzt Verdi – sonst ändert sich nix“ vergleicht Lengsfeld das Vorgehen der Gewerkschaft mit DDR-Unrecht und der im Januar 1976 eingeführten „Richtlinie Nr. 1/76 zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge“.

Lengsfeld zitiert aus der DDR-Richtlinie: „Die politische Brisanz der Zersetzung stellt hohe Anforderungen hinsichtlich der Wahrung der Konspiration.“ Und schreibt dann: „So warnt auch Verdi vor möglichen brisanten Auswirkungen eines betrieblichen operativen Vorgehens seiner Inoffiziellen Mitarbeiter.“ So lautet zumindest die Interpretation der umstrittenen Publizistin zum Vorgehen der Gewerkschaft.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ihrerseits begründet die Erstellung der „Handlungshilfe“ mit der Gefährdung des betrieblichen Friedens im Zusammenhang mit dem politischen Erstarken von Rechtspopulisten in Deutschland. Sie schlussfolgert daraus eine Zunahme von „Vorfällen“ in der nahen Zukunft. In der Einleitung heißt es: „Das friedliche Zusammenleben im Betrieb hängt davon ab, dass engagierte Menschen darauf achten und sich zu Wort melden, wenn es zu ausländerfeindlichen, nationalistischen oder rechtspopulistischen Vorkommnissen kommt.“

Unsere Leserin Karola Hachmann beteuert, gar nicht mehr genau zu wissen, wie sie von der „Handlungshilfe“ erfahren haben will. „Ich habe eine E-Mail bekommen“, sagt sie. Den Absender kann sie gegenüber unserer Zeitung nicht mehr mit Gewissheit nennen. Auszuschließen sei nicht, dass die Mail von der AfD selbst gekommen ist. Dass was sie lesen musste, hat sie verstört. „Ist es die Aufgabe von Gewerkschaftsmitgliedern, andere Mitglieder hinsichtlich ihrer politischen Gesinnung auszuspionieren?“, fragt sie.

Was steht in der „Handlungshilfe“?

Auf zwei Seiten wird Verdi-Mitgliedern sehr detailliert dargestellt, was zu tun ist, wenn man das Gefühl hat, rassistische Äußerungen im Betrieb würden zunehmen. Es werden „Situationen“ beschrieben, aus denen Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Sie richten sich zum einen auf die Funktion bzw. Position („Verdi-Mitglied und AfD-Mitglied“) und die innere betriebliche Stellung des auffällig gewordenen Mitarbeiters, der sich demnach von den ursprünglichen Grundsätzen und Prinzipien verabschiedet habe. Es wird beispielsweise gefragt: „Hat die Person eine eigene ,Hausmacht‘? Und wenn ja, kann man es sich erlauben, sich mit der anzulegen?“

Zum anderen werden „Situationen“ in dem Entwurf skizziert, die sich konkret mit dem Verhalten der Person auseinandersetzen. „Woran kann man rechtspopulistische Haltungen bzw. ein Engagement für die AfD erkennen?“, heißt es dort. Dass Mitglieder der AfD gerne „Thor-Steinar“-Klamotten tragen und am Wochenende als Hooligans beim Fußball ihre extremistische Gesinnung ausleben, ist zwar zweifelhaft – folgt man der „Handlungshilfe“ sind das für Verdi offenbar ebenso Belege für eine ungesunde Nähe zum Rechtspopulismus, wie die offene Agitation für die AfD, die „Identitäre Bewegung“ oder die „Reichsbürger“.

Des Weiteren beschreibt die „Handlungshilfe“ wie betriebliche Reaktionen aussehen könnten. Neben dem Beobachten und dem Ansprechen der Personen, beinhalte auch das „öffentliche Outing“ eine Möglichkeit in der Auseinandersetzung. Gleich zweimal wird auf eine „Situation“ hingewiesen, die sich am Ende negativ für die Gewerkschaft auswirken könnte. Da heißt es: „Achtung: Aufpassen, dass Rechtspopulisten nicht als Opfer oder Märtyrer wahrgenommen werden!“ Der Satz ist rot unterlegt und mit einem Ausrufezeichen versehen.

Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Lengsfeld unterstellt Verdi, Methoden der Stasi anzuwenden. „Zunächst sollen ,mögliche Konstellationen‘ zusammengestellt werden, bei denen operative Vorgänge ansetzen könnten. Sodann sollen die feindlich-negativen Elemente aufgeklärt werden. Dann setzt der operative Vorgang an: Beobachten, Bearbeiten, Isolieren, Outen, rechtlich belangen, in Workshops umerziehen, Versetzen, keine Aufstellung auf gewerkschaftlichen Listen, Funktionsverbot in der Gewerkschaft, Ausschlussverfahren“, schreibt sie in ihrer Internetkolumne vom 25. März, die zwei Tage später in dem Blog „Freie Welt“ nachzulesen ist.

Was sagt Verdi zu den Vorwürfen?

Der Verdi-Landesverband Bremen/Niedersachsen, zu dem der Bezirk Weser-Ems gehört, erklärt sich. Pressesprecherin Lea Arnold, sagt, dass es sich bei der „Handlungshilfe“ lediglich um einen Entwurf gehandelt habe, der zu keinem Zeitpunkt einen Weg in die Betriebe gefunden habe. „Der Entwurf wurde nur wenige Stunden nach Erscheinen gelöscht, ebenso wie die dazugehörige Internet-Adresse“, sagt Arnold. Und trotzdem war der eingelegte Rückwärtsgang von Verdi zu spät, um eine Verbreitung der Aktion in den sozialen Netzwerken zu unterbinden.

Sprecherin Arnold nennt das eigene Vorgehen in diesem Fall „suboptimal“, betont allerdings, dass Verdi auch mit Blick auf den Bundestagswahlkampf und eine zu erwartende Polemisierung durch Rechtspopulisten zu ihren politischen Prinzipien stehen werde. „Die Detailliertheit der Handlungshilfe hat den Eindruck des Ausspionierens verstärkt, insbesondere bei denen, die das so verstehen wollten“, so Arnold.

Verdi-Chef Frank Bsirske distanzierte sich einen Tag später in einer Pressemitteilung von der Aktion des Landesverbands. Er betonte, dass man als Gewerkschaft die politische Auseinandersetzung mit der AfD annehme, weil es notwendig sei, die freiheitliche, vielfältige, gleichberechtigte und offene demokratische Gesellschaft zu erhalten. „Mitglieder wegen ihrer politischen Haltung auszuschnüffeln, entspricht dabei nicht dem Selbstverständnis von Verdi und kann und wird für die Organisation niemals handlungsleitend sein“, erklärte Bsirske.

Arnold erklärt die Motivation des eigenen Handelns. Man habe verstärkt Hinweise aus den Betrieben bekommen. Verdi-Mitglieder hätten wissen wollen, wie sie mit „rassistischen Äußerungen oder Hinweisen auf rassistisch begründetes Mobbing“ umgehen sollten. Arnold legt dar, dass Verdi in dieser Sache nicht völlig „weltfremd“ agiert habe. „Auch andere Institutionen haben solche Leitfäden entwickelt und veröffentlicht.“ Als Beispiel nennt Arnold die „Handreichung für Betriebsräte und Gewerkschaften“, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verfasste. Auf 49 Seiten werden dort detailliert „Strategien gegen rassistisches Mobbing und Diskriminierung im Betrieb“ beschrieben.

Was meint ein Arbeitsrechtler?

Professor Horst Call von der Ostfalia-Hochschule stellt zunächst das aus seiner Sicht einzig Positive dieser „Affäre“ heraus. „Die sofortige Rücknahme des Entwurfs zeigt, dass die Idee dahinter bei Verdi nicht mehrheitsfähig ist. Hier ist der Bezirk offenbar weit über das Ziel hinausgeschossen.“ Die „Handlungshilfe“ könne laut Call als Aufforderung zum Mobbing gewertet werden, da das Merkmal eines systematischen, aufeinander aufbauenden Vorgehens erkennbar sei.

Der Arbeitsrechtler aus Wolfenbüttel erklärt, dass es hohe Hürden dafür gebe, Personen aufgrund ihrer politischen Gesinnung aus dem Betrieb zu entfernen beziehungsweise die Mitgliedschaft der Gewerkschaft zu entziehen. „Im Betriebsverfassungsgesetz ist geregelt, dass die politische Einstellung des Mitarbeiters keine Rolle spielen darf. Das gilt übrigens für alle Parteien und nicht nur für die AfD.“ In diesem Fall hätte die Gewerkschaft gegen Recht, aber auch gegen moralische Grundsätze verstoßen.

Die Organisation und Struktur von Gewerkschaften müsse in Deutschland demokratischen Strukturen entsprechen, sagt Call. „Das bedeutet auch, dass sie Meinungspluralität unter ihren Mitgliedern zulassen und respektieren müssen.“ Nur in Ausnahmefällen könnten Abmahnungen, Versetzungen oder gewerkschaftliche Ausschlussverfahren angestrengt werden. Wenn jemand offenkundig eine Politik im Unternehmen betreiben würde, die den Betriebsfrieden nachhaltig störe oder aber Zielen der Gewerkschaft widerspreche, gebe es Möglichkeiten, einzugreifen – sei es vonseiten des Betriebsrats oder von der der Gewerkschaft selbst. Ein „betrieblich organisiertes Hinterherschnüffeln auf Verdacht“ dürfe schon aufgrund der schlimmen Erfahrungen der gesamtdeutschen Geschichte keinen Weg in den Alltag von Unternehmen finden, sagt Call. Das Prinzip, der Zweck heilige die Mittel, dürfe hier nicht gelten.