Berlin. Die Corona-Warn-App ist seit mehreren Wochen nutzbar. Gibt es eine App-Pflicht? Wie viel Sicherheit bringt die App? Wir klären auf.

  • Die Corona-Warn-App der Bundesregierung ist Mitte Juni gestartet
  • Infektionsketten sollen mit Hilfe der App leichter nachverfolgt und Corona-Neu-Infektionen besser vermieden werden
  • Bisher wurde die App mehr als 14 Millionen Mal heruntergeladen
  • Auch in vielen anderen Ländern kann die App heruntergeladen werden
  • Um den vollen gewünschten Effekt bei der Eindämmung der Infektionen zu erzielen, müssten sich laut einer Studie ohne jegliche Schutzmaßnahmen mindestens 60 Prozent der Bevölkerung beteiligen.
  • Mit Schutzmaßnahmen wie Abstandsregeln könnten schon 15 Prozent ausreichen
  • Laut Bundesregierung zählt jeder einzelne Teilnehmer
  • Gibt es eine Corona-App-Pflicht? Wie viel Akku frisst die Anwendung? Hilft die App wirklich, das Coronavirus in Deutschland einzudämmen? Wir beantworten alle Fragen rund um die Tracing-App

Die deutsche Corona-Warn App entwickelt sich immer mehr zum Erfolgsprojekt. Die Download-Zahlen haben laut Robert Koch-Institut zwei Wochen nach Veröffentlichung die 14-Millionen-Marke geknackt. Geht man davon aus, dass sich nur Bürger in Deutschland die App auf das Handy installiert haben, entspricht das einem Bevölkerungsanteil von gut 17 Prozent.

Ein wichtiger Wert, denn laut der renomierten Immunologin Lucie Abeler-Dörner vom Nuffield Department of Medicine der Universität Oxford fängt die Tracing-App ab einer Teilnahmequote von 15 Prozent an zu wirken. Dann könnten Infektionsketten zurückverfolgt und unterbrochen werden. Allerdings nur solange weitere Schutzmaßnahmen wie Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden. Ohne jegliche Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie müssten 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen, damit sie wirksam ist.

Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte in Berlin: „Jeder Nutzer nützt.“ Auf entsprechende Nachfragen versicherte sie, die Bundesregierung wolle, dass auch die Besitzer älterer Mobiltelefone die App nutzen könnten.

Auch wenn die Corona-App anfangs ihre Schwierigkeiten hatte, wird sie zum Beispiel in Großbritannien mittlerweile als Vorbild für eigene Tracing-Anwendungen genannt. Der deutsche Botschafter in London, Andreas Michaelis, diskutierte bereits mit dem britischen Gesundheitsminister Matt Hancock über eine Zusammenarbeit.

Corona-Warn-App: Was soll sie leisten?

Mithilfe der Corona-Warn-App sollen Menschen nachträglich darüber informiert werden, wenn sie sich eine bestimmte Zeit lang in der Nähe von Personen aufgehalten haben, bei denen ein positiver Corona-Test vorliegt.

Als Nutzer erfährt man aber nicht wann oder wo das war und um welche Person es sich dabei handelte. Die App sagt einem ebenfalls nicht, ob man sich in einem bestimmten Moment gerade neben einem infizierten Menschen aufhält. Die App ersetzt auch nicht die geltenden Abstands- und Hygieneregeln.

Wie funktioniert die Corona-Warn-App?

Ist die App auf dem Smartphone installiert, sendet das Gerät über den Funkstandard Bluetooth laufend eine zufällig generierte Identifikationsnummer (ID) in die nähere Umgebung. Parallel dazu prüft das Gerät fortlaufend, ob und wie lange es Bluetooth-Signale von anderen Smartphones in der Nähe empfängt. Lesen Sie hier: So kann man sich die Corona-Warn-App auf iPhone oder Android laden

Sobald sich zwei Nutzer mit laufender Corona-Warn-App für eine gewisse Zeit in geringem Abstand zueinander aufhalten, tauschen beide Smartphones ihre ID-Nummern aus.

Wird ein App-Nutzer positiv getestet, kann er dies in der App melden. Falschmeldungen sollen verhindert werden. Daher erhält der nachweislich Infizierte vom Gesundheitsamt einen QR-Code oder eine TAN-Nummer zur Verifikation. Das muss bei der Meldung angeben werden.

Setzt der infizierte Nutzer freiwillig eine Meldung per App ab, geht eine Warnung an alle App-Nutzer raus, die sich in vergangenen 14 Tagen mindestens 15 Minuten lang oder im kritischen Abstand von unter zwei Metern neben der Person aufgehalten haben. Die Kontaktierten erhalten dann Handlungsempfehlungen und können sich etwa an das örtliche Gesundheitsamt wenden.

Weitere Informationen zum technischen Hintergrund: Corona-Warn-App – Das ist ihre Funktionsweise

Corona-Warn-App: Kann man damit überwacht werden?

Nein, das ist quasi ausgeschlossen. Der Quell-Code der App kann auf der Plattform GitHub transparent eingesehen werden. Bei etlichen Analysen des Codes wurden keine Hintertüren oder andere Anomalien entdeckt.

Zwar müssen Android-Nutzer bei der Installation – falls noch nicht geschehen – den Standortzugriff aktivieren. Dies habe laut Android-Hersteller Google allerdings Datenschutzgründe und diente technisch dazu, andere Bluetooth-Geräte zu erkennen. Positionsdaten per GPS werden darüber aber nicht erhoben. „Daten, die eine Person identifizierbar machen, insbesondere Positionsdaten, werden nicht ausgelesen, verwendet oder gespeichert.“ Das schreibt die Bundesregierung in ihren Fragen und Antworten.

Über Wochen wurde gestritten, ob die Daten der Nutzer zentral auf Servern der Gesundheitsbehörden gespeichert werden sollen. Mehrere Datenschützer, aber auch IT-Fachleute warnten vor der Gefahr einer Massenüberwachung und des Datenmissbrauchs. Am Ende schloss die Regierung diesen Weg aus. All das verzögerte auch die Entwicklung der App.

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Coronavirus: Kommt bald eine Corona-App-Pflicht?

Nein, das Herunterladen und die Nutzung der Corona-Warn-App geschieht laut Bundesregierung ausdrücklich freiwillig. Nicht jeder besitzt außerdem ein Smartphone mit Bluetooth. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Personen durch die Nicht-Nutzung Nachteile entstehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte schon im April klargemacht, dass die Nutzung einer App nur freiwillig sein könne. Doch gerade aus ihrer Partei gab es immer wieder Stimmen, die das infrage gestellt haben. Der Vizechef der Unionsfraktion, Thorsten Frei, schlug etwa Steuervorteile für Menschen vor, die die Warn-App nutzen.

Vorschläge wie dieser stellten die Freiwilligkeit infrage, warnte dagegen der Verein Digitale Gesellschaft, der sich für Bürger- und Verbraucherrechte online einsetzt. Der Erwartungsdruck an jeden Nutzer, die App zu installieren, sei schon jetzt groß, heißt es in einem offenen Brief. In Zukunft könne die Nutzung sogar zur gesellschaftlichen Norm werden.

„Menschen, die die App bewusst ablehnen, und diejenigen, die sie gar nicht benutzen können, da sie kein kompatibles Smartphone besitzen oder sich keines leisten können, könnten von anderen geächtet werden.“ Lesen Sie hier ein Interview mit Christine Lambrecht: Justizministerin mahnt bei Corona-App: „Niemanden nötigen“

Wie berechnet die Warn-App das Infektionsrisiko?

Ob sich ein Mensch neben einer infizierten Person ansteckt, hängt laut Forschern von mehreren Umständen ab. Das reale Risiko will die Warn-App mathematisch errechnen, anhand von vier Faktoren:

  • Wie lange ist das Treffen her?
  • Wie lange fand es statt?
  • Wie nah sind sich beide Personen anhand des Bluetooth-Signals gekommen?
  • Und wie infektiös war die Erkrankte Person einer Schätzung zufolge beim Treffen.

Multipliziert ergeben diese Faktoren laut der App-Entwickler einen Risikowert, genannt „Risiko Score“. Überschreitet dieser einen vom Robert Koch-Institut bestimmten Grenzwert, bekommt der Nutzer auf seinem Smartphone eine allgemeinverständliche Meldung angezeigt.

Kommentar: Die Corona-App kann uns schützen – aber nicht allein

Was passiert, wenn man einen Alarm bekommt?

Wer über die App einen Hinweis bekommt, dass er in den vergangenen 14 Tagen mit einer Person in Kontakt war, die einen positiven Corona-Test hatte, erhält in der App eine Handlungsempfehlung – abhängig von seinem errechneten Infektionsrisiko, dem Risiko-Score.

Liegt ein erhöhtes Infektionsrisiko vor, erhält die Person per App den Hinweis, sich, wenn möglich, nach Hause zu begeben beziehungsweise zu Hause zu bleiben sowie mit seinem Hausarzt, dem ärztlichen Bereitschaftsdienst oder dem Gesundheitsamt Kontakt aufzunehmen und dort das weitere Vorgehen abzustimmen.

Fest steht: Wer einen Alarm über die Corona-Warn-App erhält, soll auch ohne Symptome kostenlos getestet werden, wie der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, der „Rheinischen Post“ versicherte. „Wir haben gemeinsam mit den Krankenkassen innerhalb weniger Tage die Grundlage dafür geschaffen, dass niedergelassene Ärzte – meistens Hausärzte – diejenigen Patienten testen können, die mittels der Corona-Warn-App über einen kritischen Kontakt zu einem Infizierten informiert wurden“, sagte Gassen.

Wie zuverlässig ist die Corona-Warn-App?

Angesichts der Abstriche, die aus Datenschutzgründen gemacht worden sind, galt die App technisch als relativ zuverlässig. Fehlalarme waren aber nicht auszuschließen. Mit-Entwickler SAP hatte vor dem Start in Tests ermittelt, dass die Corona-Warn-App in etwa 80 Prozent der Fälle mit ihrer Risikoeinschätzung richtig liegen wird. Nun sind aber Fehler der App sowohl auf dem Betriebssystem Android als auch für iPhones bekannt geworden.

Lesen Sie auch: Corona-Warn-App: Die häufigsten Fehler und ihre Ursachen

Recherchen der „Bild“-Zeitung und „tagesschau.de“ haben ergeben, dass die Corona-Warn-App ein Problem mit der Hintergrundaktualisierung hat. Eigentlich soll die Corona-Warn-App auch dann im Hintergrund weiterlaufen und Daten aktualisieren, wenn sie nicht geöffnet ist.

Wenn es eine Begegnung mit einer Person gab, die dann positiv auf das Coronavirus getestet wurde, soll das Handy den Besitzer eigentlich aktiv mit einer Benachrichtigung auf das erhöhte Risiko hinweisen. „Das Problem, das wir haben, ist, dass die Hintergrundaktualisierung vom Betriebssystem offenbar nicht aufgerufen wird“, gab Software-Architekt Thomas Klingbeil gegenüber „tagesschau.de“ bekannt.

Mittlerweile soll ein Update für iPhones das Problem beheben. Das Update auf die Version 1.1.2 steht im Apple Store für die Nutzer bereit. Das gaben SAP und Deutsche Telekom gemeinsam bekannt.

Wie viele Menschen müssen die Corona-App nutzen, damit sie hilft?

Eine Studie aus Oxford sagt, dass der volle Effekt erst dann erreicht wird, wenn sich 60 Prozent der Bevölkerung oder mehr beteiligen. Allerdings nur, wenn es sonst keinerlei Schutzmaßnahmen gebe. Mit Schutzvorschriften zu Hygiene und Abstand reichen auch 15 Prozent der Bevölkerung aus, sagt Lucie Abeler-Dörner.

Die Forscherin hat in Oxford an der Studie mitgearbeitet und simuliert, ab wie vielen Teilnehmer sich mithilfe der Tracing App Infektionsketten unterbrechen lassen. Mit der Downloadzahl zwei Wochen nach Veröffentlichung – laut RKI 14,3 Millionen – wäre diese Grenze überschritten.

Eine 60-prozentige Teilnahme der deutschen Bevölkerung ließe sich auch nur schwer erreichen, denn gut 30 Prozent der Deutschen besitzen gar kein Smartphone. Sie können also auch keine App installieren. Und selbst eine populäre App wie WhatsApp hat Jahre gebraucht, um eine so hohe Installationsquote zu erreichen.

Laut dem IT-Verband BITKOM haben zumindest die meisten der 58 Millionen Smartphonebesitzer ab sechs Jahren ein geeignetes Gerät zu Hause: „Die allermeisten der eingesetzten Geräte erfüllen die technischen Voraussetzungen für die Corona-Warn-App“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder.

Nach einer Bitkom-Umfrage haben 80 Prozent der Smartphone-Nutzer in den vergangenen zwei Jahren ein aktuelles Gerät gekauft. „Und so können nach unseren Berechnungen mehr als 50 Millionen Menschen in Deutschland die Corona-Warn-App installieren und problemlos nutzen. Wichtig sei nur, dass Nutzer die aktuelle Version des Betriebssystems installiert haben.

Wie hoch ist der Verbrauch beim Akku und bei den Mobilfunkdaten?

Der Akkuverbrauch beim Smartphone dürfte durch die Nutzung der App geringfügig beschleunigt werden. Allerdings wird mit Bluetooth Low Energy eine energiesparende Variante der Nahfunktechnik verwendet.

Für das verwendete Datenvolumen auf dem Smartphone muss kein Nutzer mehr bezahlen. Die Mobilfunk-Betreiber in Deutschland haben angekündigt, ihren Kunden keinen Datenverkehr zu berechnen, der durch die App entsteht.

Corona-Warn-App: Was sagt die Politik?

Die Skepsis gegenüber der App bleibt – sogar innerhalb der Regierungsparteien. Auch ein Ministerpräsident äußerte sich kritisch: „So wie die Corona-App jetzt auf den Weg gebracht worden ist, bringt sie keine ausreichende Sicherheit“, sagt Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer unserer Redaktion. „Wichtig ist für die Leute heute 1,50 Meter Abstand und Tragen von Mund-Nasen-Schutz.“ Das ganze Interview lesen Sie hier.

Grünen-Chef Robert Habeck hat die Bundesregierung dafür kritisiert, dass die neue Corona-Warn-App nicht auf Smartphones mit älteren Betriebssystemen funktioniert. „Es ist wirklich ein Problem, dass die App nur auf neueren Smartphones läuft. Dadurch lässt sie ausgerechnet Ältere oder Menschen mit wenig Geld außen vor“, sagte Habeck unserer Redaktion.

Auch Besitzer älterer Geräte müssten erfahren können, ob sie mit Infizierten Kontakt gehabt haben, forderte Habeck. Der Bund führt dazu inzwischen Gespräche mit Google und Apple. Die Grünen verlangen außerdem, dass der Einsatz der App in einem Gesetz geregelt wird. Zudem solle die App neben Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch noch in anderen Sprachen nutzbar sein.

Nach rechtlicher Prüfung der betreffenden Gesetzte der Länder ist die App laut RKI zumindest in den App-Stores folgender Staaten verfügbar:

  • Belgien
  • Bulgarien
  • Dänemark
  • FrankreichItalien
  • Luxemburg
  • Niederlande
  • Österreich
  • Polen
  • Rumänien
  • Schweiz
  • Spanien
  • Tschechien

Was sagen EU-Abgeordnete zum möglichen Erfolg der Corona-App ?

Abgeordnete des EU-Parlaments haben vor zu hohen Erwartungen an Handy-Apps gegen die Corona-Pandemie gewarnt. „Nationale Regierungen präsentieren die Apps als Wunderwaffe gegen die Pandemie“, so die liberale Abgeordnete Sophie in’t Veld. Aber das Dilemma, dass im Kampf gegen die Viruserkrankung der Schutz der Gesundheit und wirtschaftliche Interessen auf einen Nenner gebracht werden müssten, werde dadurch nicht gelöst.

Mehr Infos zur Coronavirus-Pandemie:

(ba/jas/dpa)