Washington. Nach einer Rede Trumps kommt es in Washington zu Ausschreitungen. Der US-Präsident forderte seine Anhänger auf, zum Kapitol zu laufen.

Die letzten Klänge von „Macho Man”, dem alten Hit der „Village People”, waren just verklungen, plötzlich stand Donald Trump hinter dem Weißen Haus auf der Bühne, vor der am Mittwochmittag mehr als zehntausend Anhänger bei gefühlten Minus-Temperaturen ihrem Präsidenten die „Treue bezeugen” wollten, wie Liz Tyler sagt.

Die 63-Jährige war am Abend zuvor aus Eureka in Kalifornien zur großen „Kippt die Wahl”-Demonstration nach Washington gekommen.

„Joe Biden hat einfach nicht gewonnen”, sagt Tyler. Findet Donald Trump auch. „Wir werden niemals aufgeben”, ruft der in gut 14 Tagen abdankende Präsident seinen Anhängern zu, deren Flaggen-Meer bis zum Obelisken, dem Wahrzeichen auf der „Mall”, reicht.

Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump hält eine Rede in Washington.
Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump hält eine Rede in Washington. © Tayfun Coskun/Anadolu Agency via Getty Images

Trump forderte Pence auf das Richtige zu tun

Trump wiederholt seine seit Wochen bekannten Standards von der „gestohlenen Wahl”, um dann die Lösung zu präsentieren. „Wenn Mike Pence das Richtige tut, gewinnen wir die Wahl.”

Alles, was der Vizepräsident in der fast zeitgleich stattfindenden Sitzung von Repräsentantenhaus und Senat tun müsse, sei, die Wahlmänner-Stimmen als „betrügerisch” abzulehnen. Biden hatte nach der Wahl am 3. November im „electoral college” 306 bekommen, Trump nur 232. Lesen Sie auch: Mike Pence - Trumps politischer Edel-Statist stellt sich quer

Mit 270 wird man in Amerika Präsident. Würde Pence, der den Vorsitz in der Sitzung hat, dem folgen und die Listen zurück an die Parlamente der Bundesstaaten delegieren, bräche er die Verfassung.

Darum nahm der Vize seinem Noch-Chef noch vor Beginn brutal den Wind aus den Segeln. Sein Eid auf die Verfassung, schrieb der tief religiöse Republikaner in einem Dreizeiler, gestatte ihm die von Trump im Alleingang gewünschte Intervention nicht.

Lesen Sie auch: Sturm auf Kapitol: Droht Trump ein Amtsenthebungsverfahren?

Protestierende ließen Wut nach Trumps Rede freien Lauf

Trumps Appell - „Mach es, Mike - diese Zeiten brauchen extremen Mut” - ging ins Leere. Was sich schnell herumsprechen sollte. Viele Protestierende, die nach Trumps Rede wie vom Präsidenten gefordert per pedes die zwei Kilometer lange Strecke zum Kapitol angingen, ließen ihrer Wut freien Lauf.

„Feiger Kerl, dieser Pence, wusste ich immer schon”, sagte Jim Vanderheit. Der 71-Jährige aus Kentucky will den Abgeordneten im Parlament „einheizen”. Hunderte wie er trampeln kurz darauf vor dem Kongress Sicherheitszäune nieder und liefern sich Handgemenge mit der Polizei.

Unterdessen haben die ersten Republikaner um Texas-Senator Ted Cruz im Inneren des riesigen Gebäudes ihre Drohungen wahrgemacht. Sie beanstanden ganz im Sinne Trumps gegen 14 Uhr die Wahlmänner-Auswahl des Bundesstaates Arizona.

Mitch McConnell: "Beschädigen Republik für immer"

Mitch McConnell, der noch mächtige Chef der Republikaner, warnt: „Wenn wir das Ergebnis der Wahl verwerfen, beschädigen wir unsere Republik für immer. Dann gerät unsere Demokratie in eine Todesspirale.”

Später wollen sich beide Kammern des Parlaments zwei Stunden lang zurückziehen und abstimmen. Auch über ähnliche Anträge, die Pennsylvania und andere Bundesstaaten betreffen, die Trump für sich beansprucht, die Joe Biden aber klar gewonnen hat. Doch die Sitzungen wurden unterbrochen. Trumps Anhänger machten ernst - und stürmten das Kapitol.