Berlin. Verbündete hat das Taliban-Regime in Afghanistan kaum – aber Russland und China wollen das neue Machtvakuum für ihre Interessen nutzen.

Nach der Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan ergreifen westliche Staaten die Flucht, schließen ihre Botschaften und kehren dem Land im Eiltempo den Rücken. Die Russen aber bleiben. Demonstrativ lassen sie ihre Botschaft in Kabul offen, am Dienstag traf sich der Moskauer Sondergesandte Samir Kabulow mit Taliban-Vertretern.

Die Lage sei stabilisiert, die Taliban stellten die öffentliche Ordnung wieder her, lobte das russische Außenministerium und hält eine Anerkennung der Taliban-Regierung für möglich. Das Vakuum, das der Westen mit dem überstürzten Abzug hinterlässt, füllen nun andere Mächte, neben Russland auch China. Und die Taliban geben sich umgekehrt moderat, suchen internationale Hilfe. Wer unterstützt das Regime jetzt? Echte Verbündete sind rar.

Radikalislamistische Taliban machen Versprechungen – China könnte investieren

Die stärkste praktische Unterstützung kommt von Pakistan. Das Nachbarland half den Taliban über viele Jahre, mit Waffen und auch finanziell, es war Rückzugsort für die Kämpfer; der pakistanische Geheimdienst pflegt bis heute gut Beziehungen zu den Taliban. Die Regierung in Islamabad ist allerdings zugleich besorgt, dass die Islamisten auch im eigenen Land Unruhe verbreiten.

Gemischte Gefühle herrschen auch in der Regierung Russlands vor. Das Debakel der USA in Afghanistan, wo in den 1980er-Jahren schon sowjetische Truppen gescheitert waren, ist für Moskau Genugtuung. Russland betrachtet Zen­tralasien als seinen Hinterhof, in dem die Vereinigten Staaten nichts zu suchen haben.

Schon vor einigen Wochen empfing die Regierung in Moskau eine Delegation der Taliban – obwohl diese in Russland als Terrorgruppe verboten sind – und ließ sich versichern, dass die Islamisten ihren Kampf nicht auf andere Regionen ausdehnen wollen. Von echter Unterstützung ist aber nicht die Rede. Der Kreml muss fürchten, dass in Afghanistan Dschihadisten-Gruppen wie der „Islamische Staat“ wieder heranwachsen, die dann Russland gefährlich werden

Auch im Nachbarland China machten in den vergangenen Wochen Taliban-Delegationen ihre Aufwartung. Sie loben die „guten Beziehungen“ zu Peking, Taliban-Sprecher Suhail Shaheen wirbt um Investitionen. Es gilt als denkbar, dass China zum Beispiel im Rahmen seiner Seidenstraße-Initiative in die Infrastruktur investiert.

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Der Kurs von Russland und China wird zum Problem für die EU

China möchte seinen neuen geopolitischen Spielraum nutzen, aber nicht direkt in das Afghanistan-Desaster hineingezogen werden. Die größte Sorge: Aufseiten der Taliban kämpften auch uigurische Extremisten – diese könnten nun Anschläge in China verüben. Aber Peking setzt auf ein Arrangement mit Kabul, „freundliche Beziehungen“ sollen die Region stabilisieren.

Das heimliche Motto wichtiger Mächte gleicht sich: Wir akzeptieren das neue afghanische Regime, solange es unsere Interessen nicht stört. Der pragmatische Kurs der Groß- und Mittelmächte in Zentralasien wird zum Problem für die EU und den Westen. In ersten Reaktionen glaubte man in Brüssel und Berlin, den Taliban mit einer internationalen Isolation drohen zu können.

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Schon das erste Taliban-Regime galt weltweit fast durchweg als Paria, bevor es 2001 von der westlichen Allianz beseitigt wurde. Daraus haben die Islamisten allerdings gelernt. In ihren Gesprächen in Moskau versicherten sie, sie wollten ein „zivilisiertes Afghanistan frei von Terrorismus und Drogen“ aufbauen.

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