Brüssel/Berlin. Die Energiepreise in Deutschland und Europa steigen, die Angst vor einem Gasengpass wächst. Welche Rolle Moskau und Gazprom spielen.

Verbraucher müssen sich in diesem Winter auf deutlich steigende Heizkosten einstellen. Vor allem die Kosten für Erdgas – mit dem hierzulande fast jeder zweite Haushalt heizt – legen massiv zu: Die Großhandelspreise lagen im August um 44 Prozent über dem Vorjahresmonat, an den Spotmärkten haben sich die Preise seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt. Das Verbraucherportal Verivox sieht nun schon eine „größere Gaspreiswelle in diesem Herbst“ voraus.

Bereits mehr als 30 regionale Gasanbieter haben laut Verivox Preiserhöhungen von durchschnittlich 12,6 Prozent angekündigt – wer ein Einfamilienhaus beheize, müsse damit im Schnitt 190 Euro mehr im Jahr ausgeben.

Aber auch der Ölpreis geht nach oben, weil das Angebot aktuell durch den Ausfall von Förderanlagen im Golf von Mexiko knapp ist. Heizöl hat sich für die Verbraucher binnen eines Jahres um fast 60 Prozent verteuert. Strom wird ebenfalls teurer. Unterm Strich waren die Verbraucherpreise für Energie damit im August laut bundesamtlicher Statistik um zwölf Prozent höher als vor einem Jahr.

Die EU-Kommission schlägt schon Steuersenkungen vor

Hierzulande wird die geplante nächste Stufe des CO2-Preises zum Jahreswechsel das Problem noch verschärfen, doch mit hohen Energiekosten kämpft ganz Europa, viele Regierungen schlagen Alarm. In Italien zahlen Kunden schon ein Drittel mehr fürs Gas als im Frühsommer, in Großbritannien sind die Gaspreise aktuell um 250 Prozent höher als zu Jahresbeginn.

Die EU-Kommission bringt drastische Maßnahmen ins Gespräch: Die Mitgliedstaaten könnten durch eine Senkung der Mehrwertsteuer oder der Energiesteuern oder durch direkte Subventionen den Verbrauchern und der Industrie helfen, erklärte Energiekommissarin Kadri Simson nach einem Treffen der EU-Energieminister. Die Kommission will dafür in Kürze ein Maßnahmen-Paket vorschlagen.

Vor zwei Wochen wurde die Gaspipeline Nord Stream 2 fertiggestellt. Dreht der Kreml am Gashahn, um die Betriebsgenehmigung zu beschleunigen?
Vor zwei Wochen wurde die Gaspipeline Nord Stream 2 fertiggestellt. Dreht der Kreml am Gashahn, um die Betriebsgenehmigung zu beschleunigen? © picture alliance/dpa/Nord Stream 2 | Axel Schmidt/Nord Stream 2

Bundesregierung: Eingreifen nicht notwendig

Die Bundesregierung erklärt bislang, sie sehe keine Notwendigkeit für ein staatliches Eingreifen. Zu unübersichtlich ist die Lage. Heikel für Berlin: Die politische Debatte dreht sich nun vor allem um den Gaspreis, der explodiert, weil die Händler mögliche Lieferengpässe im kommenden Winter befürchten.

Eine steigende Nachfrage aus Asien, das Wiederanlaufen der globalen Wirtschaft und nach dem vergangenen Winter nicht ausreichend gefüllte Gasspeicher treiben solche Ängste an. Im Raum steht ein brisanter Vorwurf: Der russische Gaskonzern Gazprom soll mit gezielter Verknappung der Liefermengen das Preisproblem verschärft haben.

EU-Abgeordnete aus Deutschland, Spanien und Osteuropa haben in diesem Sinne bereits bei der EU-Kommission Alarm geschlagen. „Es besteht der Verdacht, dass der Rekordanstieg beim Gaspreis ein direktes Ergebnis von Gazproms Marktmanipulation ist“, heißt es in dem unserer Redaktion vorliegenden Brief.

In Deutschland erklärt Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer, Gazprom habe seine Speicher in Deutschland und Europa mit Absicht geleert, um ein „Erpressungspotenzial“ zu haben – damit die fertiggestellte Gaspipeline Nord Stream 2 schneller genehmigt wird. Ohne die Leitung könne es in einem richtig kalten Winter ab Februar zu regionalen Engpässen kommen, fürchtet Krischer.

Marktmanipulation? Moskau weist alle Vorwürfe zurück

Doch sowohl das Staatsunternehmen Gazprom als auch die Regierung in Moskau weisen solche Vorwürfe strikt zurück: Die EU erhalte alles, was laut Verträgen vereinbart sei. Vertragsverletzungen wirft dem Unternehmen tatsächlich auch niemand vor. Doch klar ist auch: Gazprom könnte, wenn es wollte, schon jetzt zusätzliches Gas liefern, über eine bestehende Pipeline durch die Ukraine.

Gazprom wartet stattdessen auf die Nord-Stream-2-Genehmigung – wohl wissend, dass die Erlaubnis wegen eines komplizierten Abstimmungsverfahrens zwischen Bundesnetzagentur und EU-Kommission erst in einigen Monaten erteilt wird, wenn überhaupt.

Die Internationale Energieagentur (IEA) ruft Russland bereits zu zusätzlichen Lieferungen nach Europa auf: „Russland kann mehr tun, um die Verfügbarkeit von Gas zu verbessern und sicherzustellen, dass die Gasspeicher gefüllt sind.“

Und was können Verbraucher tun vor dem Winter?

Verbraucherschützer raten dazu, Verträge mit den Energieversorgern zu prüfen, teure Grundversorgertarife zu vermeiden und bei Preiserhöhungen den Anbieter zu wechseln.

Wenn sich die Politik aber nicht entscheidet, hierzulande Energiesteuern zu senken, bleibt sonst nur eine Hoffnung: Dass der Winter nicht zu kalt wird.