„Für die allermeisten Menschen – auch für diejenigen, die an keinen Gott glauben – hängt das Wesentliche im Leben an den Beziehungen.“

Liebe Leserinnen und Leser,

die Bestandsaufnahme ist eindeutig. Wir haben: nichts. Jesus Christus ist verschwunden. Sein Höhlengrab ist leer, als die Frauen es betreten. So steht es in der Bibel. Wir erfahren nicht, wie Jesus auferstanden ist, sondern nur, dass er es ist, dass er lebt und der Tod überwunden ist. Für uns aufgeklärte, rational denkende Menschen klingt das schon fast wie eine Zumutung.

In der Welt von heute sind wir es gewohnt, dass das Wissen ständig zunimmt. Damit einhergeht die Annahme, dass sich dank dieser Wissensexplosion auch Kernfragen naturwissenschaftlichen Denkens besser beantworten lassen. Also: Wie funktioniert etwas? Und wie ist etwas entstanden?

Bei diesen Fragen ist uns die Bibel, ehrlich gesagt, keine gute Hilfe. Aber das war natürlich auch nicht das Anliegen von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, die die vier Evangelien des Neuen Testaments verfasst haben. Sie wollten keine Berichte ablegen, wie etwas ganz genau passiert ist.

Stattdessen rückt die Bibel immer wieder die Frage nach dem Warum in den Mittelpunkt: Warum bin ich überhaupt hier? Welchen Sinn hat das Leben? Nicht nur im Christentum ist das so. Alle Weltreligionen zeichnen sich dadurch aus. Sie alle schauen darauf schauen, was ein gutes, ein humanes Leben sein kann.

Religiöser Glaube setzt keine Beweise in der Art naturwissenschaftlicher Erkenntnisse voraus, sondern Vertrauen. Vertrauen ist das menschliche Ur-Thema, angefangen vom Säugling, der die Bindung seiner Mutter sucht. Ohne Vertrauen gäbe es keine zwischenmenschlichen Beziehungen, und ohne Vertrauen, dass Verträge eingehalten werden, keine Wirtschaft.

Ohne Vertrauen in seriöse Medien hätten Fake News viel leichteres Spiel, weil es in unserer hochkomplexen Welt schwieriger geworden ist, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Und ohne Vertrauen in das Funktionieren technischer Systeme würde niemand in ein Auto, einen Zug oder gar in ein Flugzeug steigen. Letztlich ist Vertrauen die Basis von allem, was uns trägt, uns voranbringt, uns als Menschen ausmacht – und das ist vor allem Liebe.

Zum Kern des Christentums gehört, dass Gott alle Menschen liebt und trägt, unabhängig von ihren Irrtümern und Fehltritten, unabhängig auch davon, wer jemand ist und was jemand leistet. Das kann vom Druck befreien, ständig um Anerkennung zu ringen, nach Geld oder Macht zu streben und sich fortwährend vergleichen zu müssen. Die Zusage Gottes kann Menschen mit sich selbst versöhnen, die Zerbrechlichkeit des Lebens besser ertragen helfen und den Blick dafür schärfen, was wirklich wesentlich ist. Für die allermeisten Menschen – auch für diejenigen, die an keinen Gott glauben – hängt das Wesentliche im Leben an den Beziehungen, die sie zu anderen pflegen. Wer im Leben geliebt hat und Liebe empfangen hat, dessen Leben ist mit dem Tod nicht vorbei. Wirklich gelebte Beziehungen verleihen uns eine Dimension der Unvergänglichkeit.

Das führt uns Ostern vor Augen, auch wenn wir nichts sehen können. Gerade weil das Grab leer ist, können wir darauf vertrauen, dass der Tod überwunden ist, dass die Schmerzen, das Leid, die Trauer und die Angst vor dem Sterben im Jenseits der Begegnung mit Gott, der Geborgenheit, dem Frieden und dem ewigen Leben weichen.

Diese Hoffnung auf Gott ist größer als der Tod. Wer sie im Herzen trägt, muss im Hier und Jetzt nicht verzweifeln, sondern kann für sich und seine Lieben hoffen, Kraft schöpfen und aufgerichtet der Zukunft entgegengehen. Deshalb ist Ostern für Christinnen und Christen nicht nur mit der riesigen Freude über die Auferstehung von Jesus Christus verbunden, sondern auch mit der Freiheit, sich ihren Mitmenschen zuzuwenden. Immer wieder, Tag für Tag. Es gibt nichts, was sich mehr lohnt für uns als Menschen.

Ich wünsche Ihnen gesegnete Ostern!

Für die allermeisten Menschen – auch für diejenigen, die an keinen Gott glauben – hängt das Wesentliche im Leben an den Beziehungen, die sie zu anderen pflegen.