Wien. Für die DHB-Auswahl geht es bei der EM nach dem Zittersieg gegen Lettland in der Hauptrunde weiter. Bis zum Auftakt der zweiten Turnierphase gegen Weißrussland ist Bundestrainer Prokop vor allem als Psychologe gefordert.

Dicke Wolken hingen über Wien, als Deutschlands Handballer im feinen EM-Zwirn zur heißen Turnierphase in der Mozartstadt landeten.

Das trübe Wetter passte zur dürftigen Vorrundenleistung von Kapitän Uwe Gensheimer & Co. bei der Europameisterschaft, die für den WM-Vierten bisher so gar nicht nach Wunsch verlaufen ist.

Auf dem knapp dreistündigen Charterflug EW 5229 von Trondheim in die österreichische Metropole bastelte Bundestrainer Christian Prokop daher an einem Masterplan für den Kampf um das angestrebte Halbfinal-Ticket. "Es gibt sehr viele Einzel- oder Gruppengespräche", berichtete Prokop und forderte: "In kurzer Zeit ist noch mehr Feuer, noch mehr Eigeninitiative gefragt."

Das DHB-Team muss sich praktisch in allen Bereichen steigern, soll die XXL-EURO nicht zu einem ähnlichen Frusterlebnis werden wie die EM 2018, als nur Rang neun gelang. "Natürlich sieht man, dass wir noch nicht in den Leistungssphären sind, die man für ein Halbfinale bräuchte. Wir haben die einen oder anderen Defizite, das haben wir klar aufgezeigt bekommen", räumte Prokop nach dem dürftigen 28:27-Zittersieg im Gruppenfinale gegen EM-Neuling Lettland ein.

Vor dem Start in die Hauptrunde am Donnerstag gegen Weißrussland gab sich der 41-Jährige dennoch kämpferisch: "Ich möchte nicht von Zielen abrücken, weil die Mannschaft es verdient, dass wir daran glauben."

DHB-Vizepräsident Bob Hanning nahm noch vor dem Abflug aus Norwegen die Spieler in die Pflicht. "Wir müssen aus der Komfortzone raus", forderte Hanning und benannte die unerwarteten Schwachstellen: "Wir müssen in der Abwehr deutlich aggressiver werden und brauchen jetzt auch die überragende Leistung der Torhüter. Wir haben noch genug Potenzial nach oben."

Die Defensive war bei der glanzvollen Heim-WM 2019 das Prunkstück - und sollte es eigentlich auch dieses Mal sein. Doch das in der Vergangenheit stets stabile Bollwerk erwies sich bislang als äußerst löchrig. "Wir müssen darüber reden, warum wir es im gesamten Turnierverlauf noch nicht geschafft haben, zu unserer Abwehr zu finden", sagte Defensivstratege Hendrik Pekeler. "Da müssen wir vielleicht andere Absprachen treffen und aggressiver zu Werke gehen."

Zumal der DHB-Auswahl im Kampf um das Ticket für die Vorschlussrunde die bittere 26:33-Pleite gegen Titelverteidiger Spanien wie ein Klotz am Bein hängt. Selbst vier Siege in der Hauptrunde, wo Kroatien als härtester Konkurrent gilt, könnten unter Umständen nicht reichen. Kapitän Gensheimer hat die Ansprüche deshalb heruntergeschraubt. "Man hat gesehen, dass es noch nicht so läuft, wie wir uns das vorgestellt haben. Deswegen tut es uns vielleicht ganz gut, wenn wir nicht ganz so weit nach vorne schauen", sagte der 33-Jährige.

Der volle Fokus im DHB-Tross, der im schicken Vier-Sterne-Hotel Hilton Garden Inn in der Wiener Südstadt abstieg, gilt daher erst einmal dem Duell mit Weißrussland. "Wir sind gerade nicht in der Situation, irgendeinen Gegner zu unterschätzen", betonte Prokop. Für Hanning ist es sogar "ein Endspiel, so wie wir eigentlich nur noch Endspiele vor uns haben. Wenn wir gegen Weißrussland nicht verlieren, gibt es kein Abweichen von unseren Zielen."

Unterstützung erhofft sich das DHB-Team dabei auch von den Fans. "Wien ist ein Standort, wo viele Deutsche hinkommen werden. Von jedem Spieler wird die Familie vor Ort sein. Das gibt natürlich zusätzliche Motivation", sagte Rückraumschütze Julius Kühn.

Rechtsaußen Timo Kastening gab sich ebenfalls zuversichtlich, dass doch noch eine EM-Euphorie entsteht. "Jetzt sollten bei jedem die Lichter angehen, dass jeder nochmal Prozente draufpackt", sagte der Turnierneuling. "Wir haben Spieler, die gut genug sind, um jetzt den Turnaround zu schaffen und in der Hauptrunde auf einmal da zu sein. Ich bin überzeugt davon, dass wir einen kleinen Flow entwickeln."